2. August 2016

er setzt in - Garten am Kunstweg


Sind Sie technisch begabt? Können Sie einen Küchenmixer reparieren? Oder ein eingeklemmtes Türschloss auseinander- und wieder zusammenbauen?

Ich habe die Erfahrung gemacht, man antwortet hier oft viel zu vorschnell mit „nein“. Das gilt vor allem für diejenigen, die es noch nie versucht haben. Man lernt eine Menge über die Funktionsweise eines Gerätes, wenn man es mal aufgeschraubt und nach dem Fehler gesucht hat.

Ähnlich ist es mit dem Gärtnern: Ein Weg zu lernen wie Pflanzengesellschaften funktionieren ist, mit ihnen zu arbeiten. Natürlich kann man das nicht immer und überall tun. Ich hatte eine dieser Gelegenheiten im Schlosspark Bühlerhöhe, wo ich Waldbodengesellschaften beeinflusst hatte. Eine weitere Chance bot sich nun am Kunstweg am Reichenbach, wo ich ein Landschaftsprojekt an einer steilen Wegböschung beginnen durfte.

Ausschnitt der Nichtbepflanzung

Die Landschaft am Kunstweg, der einem Seitental der Murg im Nordschwarzwald folgt, ist sehr abwechslungsreich. Der Talgrund ist mal weit, mal eng und bietet Raum für Wiesen, Wälder, Gebüsche, Brennnesselfluren und Felsabbrüche. Der trocken-sonnige Südhang und der stellenweise schluchtwaldartige Nordhang stehen sich mit jeweils charakteristischer Vegetation gegenüber. Die erfrischende Kühle und das Rauschen des Reichenbachs sind allgegenwärtig. Spuren früherer und heutiger Landnutzung wie das dichte Netzwerk aus Bewässerungsgräben in allen Phasen des Verfalls sind für das geübte Auge zu erkennen. Seit elf Jahren sind in jährlich wechselnden Ausstellungen Kunstwerke in ihrer Wechselwirkung mit der Landschaft erlebbar.

Für meinen co-Beitrag als Gärtner (Ist Gärtnern überhaupt eine Form der Kunst?) wählte ich nicht das am einfachsten zu beackernde Grundstück sondern dasjenige mit dem für mich interessantesten Bestand an natürlich vorkommender Vegetation und eben mit dem für mich höchsten zu erwartenden Erkenntnisgewinn. Wie schon in meiner Arbeit für das Schlosshotel Bühlerhöhe ging es um einen schattigen Bereich mit moosigen Felsen, um hier durch Entfernen unerwünschter Arten einen Landschaftsgarten zu erschaffen. Der Hauptunterschied zu damals ist offensichtlich: Diesmal handelt es sich um eine sehr steile Fläche – in weiten Teilen um eine fast senkrechte Felswand.

Auch Bäume wurden gefällt. Die rechte Wegeböschung wurde zum "Landschaftspark"

Dieses Stück von 50 Metern Länge und im Schnitt etwa vier Metern Höhe sollte ein Landschafts­park werden. Die Fläche ist stark nach Norden geneigt, die ohnehin schon hohe Luftfeuchtigkeit wird durch das benachbarte Kunstwerk weiter erhöht. Das pflanzliche Inventar war schon vorhanden: Bäume, vier Arten Farne, Sauerklee, Hexenkraut, Waldgräser, Moose und anderes.

Die Liste der ganz oder punktuell entfernten Pflanzenarten enthält Efeu, Goldnessel, Brennnessel, Springkraut und Brombeere. Einzelne Pflanzen des auch weiterhin erwünschten Wurmfarns wurden zugunsten einer Auflockerung des Bestands entfernt. Um mehr Licht und Niederschlagswasser auf den Boden zu bekommen, wurden zwei mittelgroße Bäume gefällt – eine Hainbuche und eine Esche. Das alles geschah natürlich in Absprache mit Forst und Naturschutz.

Wieder mit von der Partie: Moossteine

Wird man als Spaziergänger den kleinen "Park" als bearbeitete Fläche wahrnehmen? Von allein sicher nicht. Es war die Idee des Göppinger Künstlers Andreas Bressmer, Schilder zu ergänzen, die in Optik und Inhalt an Pflanzenetiketten in botanischen Gärten denken lassen.

Er schreibt dazu: "Mein Beitrag ist dezent, so wie die Eingriffe von Buchholtz. Ich füge nur einige Schilder hinzu, mit den Namen der mir von Buchholtz genannten Pflanzen. Schilder, auf welchen die deutschen und  lateinischen Namen der entfernten und der zu erhaltenen Pflanzen eingraviert sind, gemäß der erklärenden Situation in botanischen Gärten. [...] Inbesondere geht es mir um den Begriff 'Ersetzen', der auch den Begriff' 'Setzen' in sich trägt. Ich sehe somit die letztendlich belassene Vegetation als Neusetzung. 'Neusetzung' oder 'Ersetzt in' ergibt auch die Wortkombination: 'er - setzt - in', nur diese drei Begriffe und die Namen der Pflanzen füge ich der Arbeit von Buchholtz in Form von Schildern hinzu. Die Inschriften der Schilder bezeichnen die Namen der von ihm entfernten und der von ihm damit erhaltenen, befreiten, 'ersetzten', die durch seinen Eingriff zu neuem Wachstum angeregten Pflanzen."

Mehr zu den künstlerischen Aspekten hier  (evtl. scrollen bis zur Überschrift er - setzt - in)

Brombeere, Rubus sectio Rubus
er setzt in
Wald-Sauerklee, Oxalis acetosella

Die praktische Arbeit im Steilhang erwies sich als völlig verschieden von der Arbeit auf dem fast ebenen Waldboden – nicht einfach nur deswegen, weil von der Leiter aus gearbeitet werden musste. Ein Beispiel: Reiße ich eine Brombeerpflanze im relativ ebenen Waldboden aus, bleibt vielleicht 10x10x10 Zentimeter feuchter Humus an den Wurzeln haften. 0,001m³ – ein Loch, das vernachlässigt werden kann, zumal ich den Ballen auch noch abschüttele. An der Felswand hingegen hätte ich an einer ausgerissenen Wurzel z.B. 50x20x1 Zentimeter Humus hängen. Das selbe Volumen, aber hier wäre damit der verfügbare Lebensraum komplett vernichtet. Abschütteln nützt nichts, da der Humus haltlos in Richtung Fahrweg rutscht.

Brombeerschneideleiter

Auf diese Art und Weise habe ich gelernt, dass meine Lieblingsgegnerin Brombeere eine durchaus wichtige Rolle in dieser Pflanzengesellschaft am Steilhang spielt, indem sie Humus ansammelt und festhält. Als Konsequenz jäte ich hier also nicht, sondern ich schneide. Die Wurzeln der Brombeeren bleiben im Boden und bilden natürlich wieder neue Triebe, die wieder neu geschnitten werden müssen.

Eine einzige Pflanzenart habe ich entgegen meiner Vorsätze aber doch neu angesiedelt. Das heimische Wald-Veilchen, Viola reichenbachiana, gehört einfach aufgrund des Namens hier an den Reichenbach! Die Pflanzung im steilen, flachgründigen Gelände erwies sich als unglaublich schwierig. Ohne den feuchten Frühsommer wären die "Reichenbach-Veilchen" sicher schon tot. Nun aber sind sie gut angewachsen und werden im Frühling nur die aufmerksamsten Besucher erfreuen. Und auch hier habe ich etwas daraus gelernt: Sollte ich jemals weitere Arten hier ansiedeln wollen, werde ich in Zukunft lieber ein paar Handvoll Erde vom Naturstandort der Zielart kreuz und quer über die Fläche streuen in der Hoffnung, dass ein paar Sämlinge aufgehen.

"vertical gardening" mal anders
Das Projekt ist nicht abgeschlossen. Wie jeder Garten braucht die Fläche weitere Pflege und wird hoffentlich mit der Zeit immer schöner. Und nebenbei lerne ich viel darüber, wie Vegetation am Steilhang funktioniert. Ich probiere es halt einfach aus.